Eine gute Kampagne erzählt eine große Geschichte. Sie begeistert Menschen und verändert etwas in ihren Herzen. Ein erfolgreicher Wahlkampf prägt eine Stadt und macht sie stolz.
Die Talsperre
Burkhard Mast-Weisz und ich gehen in diesem Moment auf einem Waldweg um eine Talsperre spazieren. Zuvor waren wir bereits in der Stadt unterwegs, bis der frisch gekürte Kandidat mich fragte, ob ich mit ihm dorthin gehen will, wo er stets gute Ideen hat. Heute haben wir sie gemeinsam – sie heißt „STOLZ AUF REMSCHEID“.
Der Kandidat
Ich bin ein Jungspund im politischen Geschäft. Zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 27 Jahre alt und gehe mit einem gestandenen Stadtdirektor spazieren. Ich soll die Strategie für seinen Wahlkampf planen. Eine Strategie, die spätestens in der Stichwahl mindestens einen Remscheider mehr überzeugt als die Strategie der Konkurrenz. Ich bin mir sicher, dass ich das leisten kann, aber ich wundere mich mehr als einmal, warum er mir bedingungslos vertraut.
„Was ich an dir mag – du stellst die richtigen Fragen“ sagt er mir später am Tag bei einem Glas Latte Macchiato in einem ziemlich stillosen Café. Das Einzige, was ich ihn schon den ganzen Tag frage: „Warum?“
Ich will verstehen, warum er glaubt, er wäre ein guter Oberbürgermeister, warum er sich anmaßt zu glauben, er könne eine ganze Stadt lenken und wieso er eigentlich kandidiert. Mich interessieren keine langen Argumentationspapiere und Wahlprogramme, sondern ich will nur eines wissen: Warum glaubt er selbst an sich? Was ich von ihm erfahre überzeugt mich, weil es ehrlich ist. Keine Phrasen, kein Drumherum, schlicht auf den Punkt gebracht. Es ist unser Geheimnis und es macht ihn stark.

Es gibt viel zu bereden miteinander. Keine Sekunde verschwenden wir auf Flyer oder Verteilartikel. Feuerzeuge, Kugelschreiber und Gummibärchen sind uns egal. Was wir herausfinden müssen, sind die Abgründe, in die wir stürzen könnten. Risikominimierung macht jede Kampagne stark.
Auf vielen kleinen Zetteln schreibe ich kurze Sequenzen aus dem Gespräch mit. Ich versuche seine Sprache zu lernen, damit er am Ende nicht meine sprechen muss. Burkard Mast-Weisz muss wie er selbst klingen, auch wenn ich ihm manche Texte schreibe. Er sagt „Remscheid kaschiert nichts“ – ich sauge die Sprache auf und mein Text für ihn wird lauten „Was aus Remscheid kommt, geht nicht kaputt.“ Er hätte ihn selbst sagen können – er passt zu ihm.
Der Stratege
Nach dem Gespräch setze ich mich in einen ICE. Mein Ziel ist Berlin. Die Stadt, in der Kampagnen geschrieben werden, die zu Berlins Mitte passen, aber nicht zum Land. Bilder, die in Kreuzberg funktionieren, aber nicht in Rheinland-Pfalz. Die Mehrheit der Deutschen wohnt auf dem Land. In kleinen Städten, in denen man sonntags Sahnetorten isst.
Es fällt mir immer schwer, eine Momentaufnahme mitzunehmen. Dieses Mal ist das anders. Mast-Weisz bleibt in meinem Kopf. Mast-Weisz, nicht Burkhard. Und so treffe ich eine erste Entscheidung: seinen Vornamen im Wahlkampf wegzulassen.
Ich wühle mich durch die zusammenhanglosen Zettel mit Zitaten aus unserem Gespräch. Einzelne Fetzen stehen darauf wie „Gute Ideen brauchen mal Veränderung“ oder „Menschen in Remscheid: knorrig, ernst, hart. Herzlich, verlässlich, zugewandt. Es dauert eine Zeit, mit ihnen warm zu werden.“
„Wohl wahr“ denke ich und lächle.

Mein Text wird den Titel tragen „In Remscheid bin ich“. Es ist ein Zitat von Burkhard. Er versucht zu erklären, dass er eng verbunden ist mit dieser Stadt. Ein Satz, den ich kurz später für immer streichen werde. Ein Satz, der ganz eng zu Burkhard gehört, aber ich habe mich entscheiden, ich werde Wahlkampf nicht mit Burkhard machen, sondern mit Mast-Weisz und der ist nicht irgendwas, sondern STOLZ AUF REMSCHEID.
Der Löwe
Unserem Gestalter erkläre ich, dass ich glaube, dass STOLZ AUF REMSCHEID ein zentrales Motiv der Kampagne werden muss, aber ich definiere es noch nicht zum Kampagnen-Slogan. Das entsteht erst im Design. Frederic ruft mich abends spät an seinen PC und zeigt mir einen Entwurf. Ein kleiner Löwe steht auf einem Hügel und unter ihm die Zeile „STOLZ AUF REMSCHEID“. Der Löwe ist das Wappentier der Stadt, aber dieser Löwe ist moderner, und wie Remscheid selbst thront er hoch erhobenen Hauptes auf einem Hügel. Ich zögere keine Sekunde, ich will dieses Zeichen als zentrales Element der Kampagne.
Der Löwe wird uns noch einen langen Abend kosten. Ein Abwehrkampf zu Gunsten unseres Entwurfs, gegen einen anderen Löwen. Der Konkurrent ist freundlicher, nahbarer, verletzlicher, aber weniger stolz. Am Ende wird unser Löwe etwas dicker und gedrungener – mehr zum Anfassen – aber er behält seinen Hauch von Arroganz. Ein Löwe, der sich über andere erhebt und Stärke zeigt. Ein stolzer Löwe.
An diesem Abend fällt in unserem Büro öfter der Satz „Wir sind keine Werbeagentur, wir machen Politik.“ Darum tun wir, was wir am besten können: Wir taktieren so lange, bis am Ende der richtige Löwe gewinnt. Ein klassischer Fall von Politik: Zwei konkurrierende Löwen und das Resultat ist ein Kompromiss. Danke an Sven, den Parteivorsitzenden, denn der Prozess bringt den besseren Löwen hervor.
Der beflügelte Kandidat
Die Kampagne kommt ins Rollen. STOLZ AUF REMSCHEID beflügelt Spitzenkandidat und Partei. Die einen sind stolz auf ihre Leistungen, Mast-Weisz will vor allem mehr. Er will Menschen stolz machen. Die Kampagne fügt sich in das Stadtgespräch ein. Sie passt zu einer Momentaufnahme, in der ein Aufbruch in der Stadt spürbar wird. Die Remscheiderinnen und Remscheider gewinnen einen landesweiten Radio-Wettbewerb und twittern #stolzaufremscheid.
Unsere Geschichte verfängt. Der Kandidat erhebt sich von seinem Image des Sozialpolitikers und wird zum Stadtoberhaupt. Ein Oberbürgermeister, zu dem die Menschen aufschauen können. Er trifft auf Veranstaltungen die richtigen Worte. Er hält treffsichere Reden und bekommt Zuspruch in der ganzen Stadt. Kein Tag, an dem er nicht in der Presse ist – es funktioniert.
In diesen Tagen schreibe ich meinen besten Text für ihn. Er ist schlicht und präzise – genau wie der Kandidat. Er unterstreicht seinen positiven Blick auf das bereits Geleistete und hebt seinen Anspruch hervor, trotzdem noch mehr leisten zu wollen – viel mehr, um Remscheid stolz zu machen. Er lautet „Sehr gute Schulen haben wir. Jetzt machen wir die besten draus.“

Der Absturz
Der Wahltermin rückt näher. Es sind nur noch 10 Tage bis zur Wahl. Ich bin in Österreich und moderiere eine Konferenz. Ich bekomme eine SMS. Mein Kollege prognostiziert, die Wahl in Remscheid sei verloren.
Ich rufe ihn an, es fehlen 20 Millionen Euro im Haushalt. Niemand hat etwas gestohlen, aber die Gewerbesteuern brechen ein. Der Aufschwung der Stadt steht in Frage und in der Zeitung steht Burkhards Zitat „Wir sind ratlos.“ „Ratlos“, „machtlos“, „hilflos“ sind ehrliche Worte. Sie sind so ehrlich, wie sich Menschen Politiker wünschen, aber es sind Worte, mit denen man verliert.
Die CDU setzt auf Angriff, auf unserer Seite herrscht Chaos. Statements gehen nicht abgestimmt an die Presse. Der Vorwurf der Konkurrenz, man habe gewusst und nicht informiert. Die Forderung lautet, umgehend einen Fragenkatalog zu beantworten, sonst würde man von seinem Recht Gebrauch machen, den Rat zusammenzurufen – direkt vor der Kommunalwahl.
Die Auferstehung
Ich fluche, tobe, mir wird schlecht – wie immer in einem solchen Moment. Wir hören auf zu telefonieren. Sich sammeln, nachdenken, erneut anrufen. Mein Kollege Oliver und ich spielen den Fall durch. „Die meisten Tore beim Fußball passieren nach einem Konter.“ sagt einer von uns beiden. Ich weiß nicht, ob diese Aussage wahr ist, aber sie macht Hoffnung. Wir werden angegriffen – wir kontern!
Wir haben eine offene Flanke, aber sie ist klein. Der Rat war rechtzeitig informiert, dass es Probleme mit der Gewerbesteuerentwicklung gibt, die Haushaltssperre schon vor Wochen verhängt. Das Einzige, was fehlte, war die konkrete Zahl auf dem Tisch. Das ist kein Skandal, aber in der Politik interessiert sich niemand für Wahrheit, sondern einzig die Wirklichkeit in den Köpfen der Wählerinnen und Wähler ist entscheidend.
Der Gegner droht damit, den Rat einzuberufen – genauer gesagt den Hauptausschuss. Direkt vor der Wahl – er will uns treiben. Wer sagt, dass wir uns treiben lassen?
Wir rufen in Remscheid an und schlagen den Konter vor. Wir rufen selbst die Sitzung ein – so schnell wie möglich, quasi sofort. In Nachtschichten wird eine umfassende Vorlage für die Sitzung vorbereitet. Keine Frage bleibt unbeantwortet. Im Grunde vollziehen wir ein Manöver, das der Spielfilmfan aus „Die Jagd auf Roter Oktober“ kennt. Wir steuern mit voller Kraft auf den gegnerischen Torpedo zu. Wir verkürzen die Distanz in solch einem Tempo, dass dieser nicht scharf gemacht werden kann, bevor er auftrifft.
Am Montag in der Sitzung sind wir vorbereitet – bestens sogar. Die CDU hat geschlafen. Sie ist unvorbereitet und wird argumentativ auseinander genommen. Noch in der Sitzung zerfällt ihre Phalanx in chaotischen Rückzug. Ein Ratsmitglied gesteht ein, dass die Stadtspitze nichts für die Gewerbesteuerentwicklung kann und diese stets schwankt. Selbst die oppositionelle Wählergemeinschaft stimmt mit der Koalition.
Die Konkurrenz ist ausmanövriert und das Thema Gewerbesteuer schafft es nie wieder auf die Agenda.
Erdrutschsieg
Die Erfahrung der vergangenen Wahlen in Remscheid lehrt, dass die SPD im ersten Wahlgang meist hinter der CDU liegt. Die Wahl gewinnt man erst mit der Unterstützung der kleinen Parteien. So war es bei Oberbürgermeisterin Beate Wilding. Im ersten Wahlgang verpasste die CDU knapp die absolute Mehrheit und im zweiten überholte die zunächst Unterlegene dann doch. An diesem Abend ist alles anders. Es wird lange ausgezählt – unerträglich lange. Am Ende liegt Mast-Weisz bei vier Gegenkandidaten mit 46,6 Prozent vor der CDU mit 39,7% – eine Sensation!
Entsetzen bei der CDU. Auch im Rat hat die SPD aufgeholt und ein Sieg bei der Stichwahl scheint für die Konservativen unrealistisch geworden. Mast-Weisz nimmt sofort den Wahlkampf wieder auf. Die Partei trägt ihn. Er steht wieder auf der Straße und ist draußen bei den Menschen. Am ersten Samstag nach der Wahl ist die Innenstadt voller roter STOLZ AUF REMSCHEID-Luftballons, die von Kindern getragen werden. Die Partei macht Wahlkampf, bis der letzte Flyer verteilt ist. Von der CDU ist keine Spur – nur ein Mitglied taucht auf. Er drückt Mast-Weisz einen Stapel Aufkleber in die Hand. Auf dem Aufkleber steht „STOLZ AUF REMSCHEID“, und dass man Mast-Weisz wählen soll. Er sagt „Die Partei unterstütze ich nicht, Sie schon.“

Am Stichwahlabend steht Mast-Weisz zusammen mit dem Parteivorsitzenden vor einem riesigen roten Löwen. 57 Prozent in Remscheid überraschen landesweit.
Fotografien von Burkhard Mast-Weisz: Thomas Wunsch